In unserem Aktionsmonat gegen Mobbing ist es uns wichtig, nicht nur auf die Thematik aufmerksam zu machen und ein Zeichen dagegen zu setzen, sondern auch konkrete Tipps zur Prävention vor und zum Umgang mit Mobbing zu geben. Hierfür haben wir mit dem Gründer des Vereins „Zeichen gegen Mobbing e.V.“ Marek Fink ein Interview geführt. Marek beschäftigt sich schon seit seiner Schulzeit mit dem Thema Mobbing, studiert nun Jura und ist der geborene Netzwerker, wenn es um sein Herzensthema geht.
Baut Eure Zukunft: Hallo Marek! Wie bist Du dazu gekommen, Dich so intensiv mit Mobbing auseinanderzusetzen?
Marek Fink: Bei mir war es so, dass ich schon immer besonders war und bis heute in keiner Hinsicht einer Norm entspreche. Im Kindergarten kam ich mir das erste Mal dick vor und hab das schnell von anderen zu spüren bekommen. Zum Beispiel ein Freund, der im Streit „Fettsack!“ rief oder die Sportlehrerin, die immer wieder betonte, wie schnell mein Gesicht rot wird oder auch das Gespräch mit dem Kinderarzt, was in meinen Ohren so klang, als wäre ich so, wie ich bin nicht in Ordnung. Als müsste ich etwas ändern, damit ich der Norm entspreche und okay bin, wie ich bin. Noch heute ist es so, dass ich gefragt werde „Hast Du abgenommen, Du siehst gut aus?!“ Dann ist meine Antwort immer: „Wenn ich gut aussehe, weil ich abgenommen habe, habe ich das der Gesellschaft zu verdanken.“ Denn dieses scheinbare Kompliment heißt ja nichts anderes, als „Wenn Du dick bist, siehst Du schlecht aus.“
Darum habe ich schon ziemlich lange ein Interesse für das Thema Mobbing. Zudem konnte ich das Thema meiner Facharbeit in der 11. Klasse selbst wählen und habe dann über „Mobbing in der Schule“ geschrieben. Im Rahmen dieser Arbeit habe ich auch eine Umfrage an meiner Schule durchgeführt. Zum einen habe ich die Schüler*innen gefragt, wie sie das Thema wahrnehmen und inwiefern sie von Gewalt betroffen sind. Zum anderen habe ich die Lehrkräfte gefragt, wie sie mit dem Thema umgehen und welche Vorkenntnisse sie mitbringen usw. Das Defizit, was sich daraus ergeben hat, war unglaublich groß und hat mich betroffen gemacht. Ich fand die Vorstellung, dass es ganz vielen Kindern an vielen anderen Schulen so geht, echt krass. Da war für mich klar, dass ich etwas tun möchte, um zu helfen.
Dann habe ich direkt nach der Schule angefangen ein Konzept zu schreiben, wie man Mobbing vorbeugen kann, wie man Kindern dabei helfen kann, ihr Miteinander besser zu gestalten. Für die Entwicklung des Konzeptes brauchte in etwa ein Jahr lang und danach habe ich das an meiner alten Schule als Pilot getestet. Da kam es schon gleich gut an.
Am Anfang habe ich gesagt, wenn ein Kind zu mir kommt und sagt „Danke, Marek, dass Du dir die Zeit genommen hast. Das hat mir echt geholfen.“, dann hat es sich gelohnt. Genau das ist nach dem ersten Workshop schon passiert und hat mir die Bestätigung und Motivation gegeben weiter zu machen.
Bis andere Menschen zu mir kamen und mich unterstützen wollten. In dem Moment wurde mir klar, dass es ziemlich cool wäre, eine Plattform zu schaffen, in der sich jeder ganz einfach, unkompliziert und unabhängig vom eigenen Wohnort engagieren kann, um einen eigenen Beitrag gegen Mobbing zu leisten. Und eine Zukunft ohne Mobbing näher zu kommen. Daraus entstand der Verein, der sich 2017 gegründet hat und bis jetzt an Schulen in ganz Niedersachsen Fuß gefasst hat und sich in 2019 auf die anderen Bundesländer ausweiten wird.
BEZ: Mobbing entsteht oft aus gesellschaftlichen Normen, die in Medien als erstrebenswert dargestellt werden. Glaubst Du, dass wir diese Vorurteile in den Köpfen ändern können? Wo sollten wir damit ansetzen?
M.F.: Die kurze Antwort darauf ist, dass Diversität und Vielfalt nicht nur ein Potenzial für Diskriminierung bietet, sondern vor allem auch eine Chance ist. Ich finde es unglaublich toll und inspirierend, wenn Menschen mit verschiedenen Charakteren, Eigenschaften und Merkmalen aufeinandertreffen und voneinander profitieren können.
In der Schule ist es leider eher so, dass die Leistungen im Fokus stehen, nach denen man bewertet wird und man selbst erst mal schauen muss, wo ordne ich mich selbst ein oder wo werde ich hier eingeordnet. Und schon hat man den ersten Stempel aufgedrückt bekommen. Dazu bringt man noch alles von zu Hause und aus seiner Umwelt mit und muss sich fragen, wie passe ich mich am Besten an, um mich in die Klassengemeinschaft einzufügen. Schon das finde ich schade. Denn in dem Moment geht es nicht um Vielfalt oder das Lernen voneinander.
In der Entwicklung kommt hinzu, dass Kinder auch ihre Grenzen austesten wollen und überlegen, wie sie es schaffen besonders gut oder gar besser als andere dazustehen. Das machen viele, indem sie andere niedermachen. Wenn man den Druck wegnimmt, klar wird, dass keiner an erster Stelle stehen muss und die Grundlage unseres Grundgesetzes vermittelt, dass jeder Mensch wertvoll ist, dann hätten wir schon viel gewonnen. Wir versuchen mit unseren Workshops genau solchen Situationen vorzubeugen und den Kindern Skills an die Hand zu geben, wie sie ihre eigene Zukunft und ihr gemeinsames Miteinander besser gestalten können.
BEZ: Hast du konkrete Tipps für die Kids, die du uns mitgeben möchtest, wenn sie Mobbing mitbekommen oder gar betroffen sind?
M.F.: In der Klasse und auch in so einer Mobbingsituation gibt es verschiedene Rollen. Da sind neben dem Betroffenen auch die Akteur*innen, die Mitläufer*innen, die Verstärker*innen und auch die Außenstehenden. In der Schule haben wir meistens die Besonderheit, dass die Außenstehenden in der Mehrzahl sind. Aber auch das bietet wiederum eine Chance.
Ich glaube, wenn alle begreifen, dass nichts tun auch eine Reaktion und ein Zeichen sind, sondern dass man stattdessen aktiv sein kann und sich positioniert gegen Mobbing, indem man nicht schweigt, nicht mitlacht, nicht anfeuert, dann hat man schon einen riesigen Schritt nach vorne getan.
Gleichzeitig sprechen wir von einer Situation, aus der die betroffene Person nicht alleine entkommen kann, sondern auf Hilfe von außen angewiesen ist. Da ist es wichtig und hilfreich jemanden zu finden, dem oder der man vertrauen kann. Das ist in der Schule relativ schwer, da wir in der Schule eben auch die Methodik der Sanktionierung finden. Das heißt, die Kinder haben nicht nur den Eindruck, die lehrende Person ist nicht nur eine helfende Person, sondern immer auch eine, die bewertet und bestraft. Dazu kommt natürlich die Hemmschwelle zu den Ansprechpersonen innerhalb der Schule. Gerade Jungs fällt es auch besonders schwer zu sagen, ich bin in einer Situation und weiß nicht, was ich machen oder wie ich reagieren soll. Zuzugeben, dass es einem nicht gut geht, ist ein riesiger Schritt, darum glaube ich, kann es schon helfen, wenn man ein Bewusstsein für die Mobbing-Thematik schafft, indem man sagt, Mobbing kann jeden Menschen treffen und findet unabhängig irgendwelche Merkmale statt. Jeder von Euch kann betroffen sein. Und natürlich braucht es Ansprechpersonen, wie z.B. uns – Wir bauen das Vertrauen zu den Kindern während unserer Workshops auf, damit wir dann gemeinsam schauen können, wie die Lösung aussehen kann. Es braucht auch in der Schule Möglichkeiten, wohin man gehen kann, um sich Hilfe zu holen, wo klar ist, alles, was du hier sagst, wird keine Folgen für dich haben, egal was du mir erzählst.
BEZ: Glaubst Du, dass sich Schule mit seinen Bewertungskriterien strukturell ändern sollte damit es weniger zu dieser Problematik kommt? Wenn man zum Beispiel mal an den Klassiker „Sportunterricht“ denkt.
M.F.: Ja, ich glaube, da sollte sich etwas ändern, aber nicht nur um Mobbing entgegen zu wirken. Ich glaube, da hilft es, die Aufmerksamkeit für das Thema, die sich gerade entwickelt weiter darauf zu lenken und die Menschen weiter zu sensibilisieren. Ich glaube, wenn man die Struktur von Schule komplett verändert z.B. von Sportunterricht und dort vielleicht keine Noten mehr gibt, dann schaffen wir eine Schule, die fernab der Realität von Erwachsenen ist. Es wäre nicht zielführend, sondern schade, wenn wir die Kinder von heute nicht auf ihre Zukunft vorbereiten würden.
BEZ: Hast Du auch noch eine Empfehlung zum Umgang mit Bodyshaming?
M.F.: Zum einen herrscht in der Gesellschaft ein Irrglaube, dass Menschen abspecken nur, weil man sie besonders häufig darauf hinweist, dass sie nicht der Körpernorm entsprechen. Das ist einfach nicht die Realität, sondern die Betroffenen ziehen sich weiter zurück. Man fördert dadurch Frustessen und bewirkt das ganze Gegenteil und schafft dadurch nur immer weniger Akzeptanz und Toleranz. Deshalb sind wir auch bei so was nicht weit entfernt von Mobbing. Denn es ist durchaus ein Gewaltakt über jemanden herzuziehen und demjenigen so deutlich zu machen, dass man ihn nicht akzeptiert wie er ist. Das ist ein Ausschluss aus der Gesellschaftsnorm. Auch da gilt das Gleiche, wie ich vorhergesagt habe. Man muss anfangen etwas zu tun, indem man aufhört, nichts zu tun.
Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft es schafft, Menschen die nicht der Körpernorm entsprechen als Mensch zu sehen, anstatt als Gegenstand. Jeder Mensch hat Gefühle und man sollte sich bewusst machen, was das eigene Handeln und die eigenen Worte auslösen können.
BEZ: Was möchtest Du uns noch mitgeben?
M.F.: Viele Menschen da draußen wissen, dass das Thema Mobbing wichtig ist. Aber fast genauso viele glauben, dass sich etwas ändert, wenn man nichts tut. Ich glaube, hier braucht es ein Umdenken und bin der festen Überzeugung, dass jeder sein eigenes Zeichen gegen Mobbing setzen kann. Unabhängig davon, ob es ein Social-Media-Beitrag ist, eine Klassensituation, bei der man aktiv eingreift und sagt, dass es nicht in Ordnung ist, oder indem man als Betroffener seine eigene Situation nicht akzeptiert wie sie ist.
Wir beobachten in unseren Workshops extrem häufig, dass die betroffenen Personen es gar nicht mehr wahrnehmen, dass sie von Mobbing betroffen sind und nur die Folgen spüren. Von einem geringen Selbstbewusstsein, Angstzuständen, Selbstzweifeln bis hin zu Depressionen. Sie glauben, dass es normal ist. Aber das ist es nicht. Sich das bewusst zu machen, jede Gelegenheit zu nutzen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es nicht okay ist. Das fände ich einen sehr wichtigen Beitrag für ein besseres Miteinander und zu einer Zukunft ohne Mobbing.