„Beziehung kommt vor Bildung – Ownership statt Alibi-Partizipation.“
3 Fragen an Gert Mengel, Bildungsenthusiast, Podcaster (hier kannst du in seinen Podcast „Hey diggies – So geht Lernen heute“ reinhören), ehemaliger Schulleiter der Don-Bosco-Schule, Rostock. In seiner aktuellen Position als Head of Modern Education and EdTech beim IT-Unternehmen Manage Now möchte er mithelfen, Bildung in der Digitalität sicherer, zugänglicher und zukunftsfähiger zu machen.
Baut Eure Zukunft (BEZ):
Gert, in deiner Zeit als Schulleiter der Don-Bosco-Schule hast du innovative Wege gefunden, Schüler:innen zu empowern. Welche drei konkreten Maßnahmen kannst du Pädagog:innen empfehlen, die auch mit begrenzten Ressourcen und unter Zeitdruck funktionieren?
Gert Mengel (GM):
➡ Stell dir die einfachste, aber wirkungsvollste Frage: Was hätte ich mir selbst als Schüler:in gewünscht?
Diese Frage verändert alles. Sie zwingt dich zum Perspektivwechsel – raus aus der Rolle, rein ins echte Interesse.
Nicht: Wie müsste Schule der Zukunft aussehen?
Sondern: Was hätte mir damals gutgetan?
Mehr Zeit für Gespräche? Weniger Angst vor Fehlern? Ein Lehrer, der mich wirklich gesehen hat?
Du warst selbst mal Schüler:in. Diese Erinnerung ist dein stärkster Kompass.
➡ Frag dich: Was soll einmal über dich gesagt werden – wenn du längst nicht mehr unterrichtest?
Willst du der Lehrer sein, über den man sagt: „Der hat nie mit uns einen Wandertag gemacht. Der hat sich nie für unsere Sorgen interessiert. Der war nur auf den Stoff fixiert – und hat seine Autorität über Noten durchgesetzt, indem er uns vor allem gesagt hat, was wir nicht können.“
Oder willst du jemand sein, der Spuren hinterlassen hat, weil er zugehört hat? Der verstanden hat, dass Beziehung vor Bildung kommt?
Amtsautorität bekommst du mit dem Titel. Echte Autorität entsteht aus Haltung.
Und aus der Entscheidung, auf Augenhöhe zu arbeiten – auch wenn’s anstrengender ist.
Amtsautorität bekommst du mit dem Titel. Echte Autorität entsteht aus Haltung.
Gert Mengel
➡ Brich Muster auf – und gib Verantwortung ab:
Empowerment heißt nicht: nette Fragen stellen. Sondern: Raum geben. Verantwortung übertragen. Vertrauen aushalten.
Lass Schüler:innen mitentscheiden – bei Themen, bei Projekten, bei Entscheidungen, die sie selbst betreffen.
Nicht als Show, sondern echt. Ownership statt Alibi-Partizipation. Wenn Kinder merken, dass sie wirksam sind, dann wachsen sie. Und du gleich mit.
BEZ: Viele Lehrkräfte kämpfen mit dem Spagat zwischen Lehrplanerfüllung und der Vermittlung von Zukunftskompetenzen. Wie hast du es geschafft, Fähigkeiten wie Problemlösungsfähigkeit, kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation im Team und Selbstorganisation in den regulären Unterricht zu integrieren, ohne dass eines von beiden zu kurz kommt?
GM:
„Ich würde ja gern Zukunftskompetenzen fördern – aber der Lehrplan lässt es nicht zu.“
Ein Satz, den ich oft gehört habe. Und dem ich klar widerspreche.
Denn: Der vermeintliche Widerspruch zwischen Lehrplanabdeckung und der Förderung von Kompetenzen wie Problemlösefähigkeit, kritischem Denken, Kreativität und Kommunikation ist in Wahrheit keiner. Im Gegenteil.
„Der vermeintliche Widerspruch zwischen Lehrplanabdeckung und Zukunftskompetenzen ist in Wahrheit keiner.“
Gert Mengel
➡ Der Lehrplan ist kein Hindernis – er ist die Einladung.
In allen aktuellen Rahmenplänen steht längst, dass diese sogenannten „4Ks“ gefördert werden sollen. Nur werden sie im Schulalltag oft überdeckt – von Stoffdruck, Prüfungsangst und dem Missverständnis, dass fachliche Tiefe und Kompetenzorientierung Gegensätze seien.
Sind sie nicht.
Die 4Ks sind keine „Extras“ – sie sind die Voraussetzung, um Fachwissen wirklich zu durchdringen.
➡ Wir brauchen eine didaktische Wende: vom Stoff- zum Lernfokus.
Wenn wir Schule wirklich ernst meinen, dann dürfen wir uns nicht länger über die Anzahl der durchgearbeiteten Seiten definieren. Sondern über das, was Schüler:innen verstanden, angewendet, hinterfragt und weitergedacht haben.
Das geht nur, wenn wir Lernprozesse anders denken.
➡ Wie ich das konkret gemacht habe? Durch agiles Lernen.
In meinem Unterricht hatten Schüler:innen mehrere Wochen Zeit, an einem Thema zu arbeiten – mit Etappenfeedback, Peer-Review, Reflexion und finaler Präsentation. Prüfungen waren nicht Momentaufnahmen, sondern Ergebnis eines echten Lernwegs.
Beispiel: Zum Thema „Leben im Mittelalter“ haben meine Schüler:innen ein eigenes Theaterstück geschrieben, aufgeführt und reflektiert – das war Lernen in Sprache, Geschichte, Kreativität und Teamarbeit gleichzeitig.
Fachinhalte wurden so nicht vernachlässigt – sondern verankert.
➡ Wer sagt, er habe „keine Zeit für die 4Ks“, irrt doppelt. Denn erst durch sie gelingt das Lernen. Ohne Problemlösefähigkeit kein Textverständnis. Ohne kritisches Denken keine Quellenanalyse. Ohne Kommunikation kein Argumentieren. Und ohne Kreativität keine nachhaltige Lösung komplexer Aufgaben.
Wer sagt, er habe ‚keine Zeit für die 4Ks‘, irrt doppelt. Denn erst durch sie gelingt das Lernen.
Gert Mengel
BEZ: In deinem Podcast sprichst du oft über die Schule der Zukunft. Wenn du einer überlasteten Lehrkraft einen einzigen Ratschlag geben könntest, der ihr Leben erleichtert und gleichzeitig die Selbstwirksamkeit der Schüler:innen fördert – welcher wäre das und warum?
GM: Verändere deine Prüfungskultur.
Wir reden oft über die Schule der Zukunft. Aber das ist keine Zukunftsfrage. Es ist eine Frage, die wir jetzt beantworten müssen.
Die Zahl der Kinder mit psychischen Erkrankungen steigt stark.
Nicht nur wegen Corona. Das wäre zu einfach.
Ein großer Teil hat mit der Schule selbst zu tun.
Mit Prüfungsdruck. Mit ständiger Bewertung. Mit der Angst, nicht zu genügen.
Genau darüber habe ich vor kurzem auch mit Marina Weisband im Podcast gesprochen.
Wir dürfen nicht länger so tun, als wäre das Problem nur äußerlich.
Es liegt im System. Und in dem Bild, das viele Lehrkräfte immer noch von sich selbst haben.
Niemand schreibt uns vor, streng, unnahbar oder kontrollierend zu sein.
Das ist übernommen. Und es passt nicht mehr.
Ich habe das in meinem Unterricht geändert.
Ich habe Prüfungen geöffnet, mehr Zeit zum Lernen gegeben, mehr Rückmeldung ermöglicht.
Die Schüler waren entspannter. Ich auch.
Die Beziehung wurde besser. Das Lernen wurde besser.
Wenn du dich entlasten willst, fang hier an.
Nicht mit neuen Methoden, sondern mit einem anderen Blick.
Lass los, was nicht mehr passt.
Vertrau deinen Schülern. Und dir selbst.
Eine andere Prüfungskultur verändert alles. Für deine Schüler. Und für dich.
Eine andere Prüfungskultur verändert alles. Für deine Schüler. Und für dich.
Gert Mengel
BEZ: Vielen Dank für dieses Interview, Gert!